Antisemitismus benennen und bekämpfen! Solidarität mit dem angegriffenen jüdischen Studenten und der jüdischen Gemeinde Hamburg!
Am 4.10.2020, einem Sonntagnachmittag während des jüdischen Laubhüttenfestes Sukkot, fand vor der Synagoge Hohe Weide ein Angriff auf einen jüdischen Studenten statt. Der junge Mann, der bei dem Angriff eine Kippa trug, wurde offenbar aus antisemitischen Motiven von einem Mann in militärischer Tarnkleidung mit einem Klappspaten attackiert und erheblich am Kopf verletzt.
Das militärische Auftreten des Täters und der Zeitpunkt der Tat während eines jüdischen Feiertages erinnerten an den antisemitischen Anschlag von Halle, wo am 9. Oktober 2019 ein schwerbewaffneter Rechtsterrorist versuchte in die Synagoge einzudringen. Nachdem er an deren Tür gescheitert war tötete der Attentäter Kevin S. und Jana L. und verletzte viele weitere Menschen in Mordabsicht. Anders als in Halle konnte der Angreifer in Hamburg glücklicherweise schnell vom Sicherheitsdienst der Synagoge überwältigt werden und der Angegriffene konnte sich verletzt in Sicherheit bringen.
Nicht nur der Ort und Hergang der Tat deuten auf ein antisemitisches Motiv hin, auch trug der Täter währenddessen einen mit einem Hakenkreuz beschriebenen Zettel bei sich. Der Landesrabbiner Hamburgs Shlomo Bistritzky und andere Vertreter*innen der Gemeinde gingen dementsprechend von einem antisemitischen Hintergrund der Tat aus. Der Zentralrat der Jüdinnen und Juden in Deutschland forderte ein entschiedeneres Vorgehen gegen Antisemitismus und in den Parteien schwor man einmal mehr Antisemitismus den Kampf anzusagen.
An diesem Freitag, den 12.02.2021, beginnt der Prozess gegen den Täter, dem versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen wird. Da der Täter aber als psychisch krank und folglich nicht schuldfähig gilt, äußerten die Ermittlungsbehörden, dass sie nicht von einem antisemitischen Tatmotiv ausgingen. Bei der jüdischen Gemeinde löste diese Einschätzung befremden aus. Philipp Stricharz, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, fragte daher gegenüber dem NDR wie antisemitische Taten zukünftig verhindert werden sollten, wenn Ermittlungsbehörden Antisemitismus als Tatmotiv nicht einmal benennen.
Auch wir fordern die klare Benennung des antisemitischen Motivs. Dass die Staatsanwaltschaft gleichzeitig davon ausgeht, dass der Täter sein Opfer zwar „gezielt wegen seines jüdischen Aussehens“ auswählte, er aber nicht in antisemitischer Absicht gehandelt haben soll, ist vollkommen absurd. Dass sich „individuelle krankheitsbedingte Wahnvorstellungen“, wie es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft heißt, gegen Jüdinnen und Juden richten, ist in einer Gesellschaft, die systematisch Antisemit*innen hervorbringt kein Zufall. Antisemitismus keimt nicht einfach im luftleeren Raum, sondern hat einen gesellschaftlichen Entstehungskontext und so suchte sich auch der Täter am 4.10.2020 das Ziel seines Angriffes nicht zufällig aus.
Die Entpolitisierung der antisemitischen Gewalttat durch die Fokussierung auf psychologische Pathologien der Täter*innen ist im Kontext der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt und rechtem Terror nicht neu. Durch dieses Framing werden rechte und antisemitische Attentäter*innen sowie ihre Taten aus ihrem gesellschaftlichen Kontext gelöst, der den Nährboden der Gewalt darstellt. Die deutsche Dominanzgesellschaft entzieht sich so der Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung für rechte und antisemitische Gewalttaten und der Verwobenheit mit diesen.
Wir solidarisieren uns mit dem Angegriffenen sowie allen von Antisemitismus Betroffenen und fordern eine entschiedene Benennung und Thematisierung des Tatmotivs. Gegen jeden Antisemitismus!
Wie immer in diesen Zeiten gilt: Haltet Abstand und tragt einen Mund-Nase-Schutz.
souslaplage und andere Antifaschist*innen
Kundgebung 8:30 Uhr / Prozessbeginn 9:00 Uhr